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Letters from Singapore (9): Dies und Das
Mittwoch, 2007-12-05

Erst einmal: Singapurianer sind freundliche Menschen. So freundlich, dass man mit etwas Glück ohne weiteres »free hugs« haben kann auf der Strasse [1] – und deshalb will ich mich gar nicht lustig machen über dieses kleine Land und seine Einwohner. Aber klein, das ist es. Etwa 6'700 Einwohner pro Quadratkilometer auf einem Inselchen von knapp 700 km2, alleine Mittelfranken ist schon rund zehnmal so gross. Nur wohnen dort 236 Menschen pro Quadratkilometer. Und man hat schon fleissig Land aufgeschüttet, bekommt damit aber zunehmend Probleme: Erstens mag Nachbar Indonesien keinen Sand und keine Steine mehr liefern (u.a. verwendet man das Material jetzt lieber selbst), zweitens stösst Singapur mit seinen Aktivitäten wohl auch bald an die eigene bzw. indonesische Seegrenze [2]. Grenzen des Wachstums, ganz wörtlich. Wo so viele Menschen auf engem Raum leben, da wird dieser teuer: für Immobilien an guter Lage kann man in Singapur auch mal Spitzenpreise deutlich über 4'000 USD/sqf bezahlen, im Durchschnitt liegt man nur knapp hinter Manhattan. – Gewöhnungsbedürftig auch die Tatsache, dass Singapur ein Stadtstaat ist. In der nationalen Fussball-Liga spielen die Vereine der Stadtviertel gegeneinander. Oder der Armee: eine der besten Mannschaften ist Singapore Armed Forces. Die schiessen eben auch gerne mal auf's Tor statt den Feind. »Bahnsteig vier gegen Ortskrankenkasse«, pflegte mein Grossvater über Amateurfussball zu spotten. Er lag nicht gar so falsch.

Die Tatsache, dass ganz Singapur praktisch genau eine Stadt ist, macht dafür Telefonate im Land angenehm einfach: keine Ortsvorwahlen. Nie. Wie auch! Dafür ist Telefonieren in's Ausland um so schwieriger. Der International Access Code von SingTel ist interessanterweise 001 (statt nur 00), aber so teuer, dass praktisch jeder eine andere vier- bis zehnstellige (!) Vorwahl eines alternativen Anbieters vor die eigentliche Nummer packt. Und bei vielen Telefonanlagen in Firmen ist nur ein ganz bestimmter Access Code überhaupt freigegeben. Wenn man den nicht weiss, kann man Brieftauben schicken. Hat man das Wählen aber bewältigt, sei's innerorts oder nicht, darf man sich nicht irritieren lassen: das hektische Doppelpiepsen ist nicht das Belegt-, sondern das Klingelzeichen. Nicht ohne Tücken auch die Bedienung der Voicemail (integrierter Anrufbeantworter der Telefonanlage) in meinem Apartment. Eines Tages blinkt das rote Licht am Apparat, aber kein Knopf verheisst mir die Wiedergabe der Nachricht. An der Rezeption gefragt, erweist sich die Sache als, nun ja, beinahe einfach. Man drücke die unscheinbare und unmarkierte 6, gebe die Apartment-Nr. ein, gefolgt von #, danach das Passwort 123456 (!), gefolgt von #, und schon hört man die Nachricht. Mit 76 (!!) löscht man sie wieder. Das selbstredend alles ohne gesprochene Menüführung und ähnlichen Komfort-Firlefanz, man muss es einfach wissen. Beim Mobiltelefonieren gibt es eine andere interessante Beobachtung zu machen: Sei es aus Diskretionsgründen oder einfach für die bessere Verständlichkeit – die Menschen halten ihre ultramodernen Handies gerne nach Art eines Walkie-Talkies vor den Mund, wenn sie hineinsprechen. Und halten oft noch die Hand oder einen geeigneten Gegenstand davor. Amüsanter Anblick, wenn um einen herum die Leute angestrengt in ihren Geldbeutel, die EZ-Link-Karte oder ein Tempopäckchen sprechen.

Ein so kleiner, dafür lebhafter Markt und eine boomende Wirtschaft … da versuchen sich manche Firmen mit ungewöhnlichen Namen von der Konkurrenz abzuheben. Ideal Plumbing [3], Magnificent Seven [4], Autobahn Motors [5]. Highlight: Bread Pitt, ein Essensstand im Maxwell Food Centre. Die Alternative ist, mit besonderen Produkten zu glänzen. Zum Beispiel mit sinnreichen Plüsch-Hundehaufen, gesehen bei Action City [6] im ersten Tiefgeschoss von Plaza Singapura. Der Laden hat auch sonst extrem nützliche Dinge im Angebot und eine tolle Website. In derselben Mall gibt es eine Ebene tiefer den Bratwurst Shop (u.a. mit Bratwurst-Burgern im Angebot!), aber der verblasst natürlich gegen einen legendären Ort in Chinatown: Erich's Wuerstelstand, der auch schon als Unterrichtsmaterial für Deutschlernende diente, mit einem göttlichen Interview [7], MP3 inklusive. Statt mit Namen, Produkten oder exotischem Flair kann man auch mit Connections glänzen: stolz steht »a member of TÜV Süd« neben dem Eingang zur PSB Academy [8] an der Jalan Bukit Ho Swee. Oder man wirbt aggressiver. Zum Beispiel mit nicht persönlich adressierten Postwurfsendungen, auf deren Kuvert ein »strictly private & confidential« prangt. Am beliebtesten: Handzettel. An zentralen Orten wie etwa dem Raffles Place, in Unterführungen oder bei wichtigen MRT-Aufgängen stehen sich meist dutzende bedauernswerte Schüler und Nebenjobber die Füsse platt und versuchen Handzettel unter's Volk zu bringen. Es ist nicht immer einfach, den mit Papier wedelnden Händen auszuweichen. – Wo Licht ist, ist auch Schatten: Es ist ja schön, wenn man Plüsch-Hundehaufen kaufen kann, aber manchmal will man einfach nur ein Hemd. Was musste ich lernen? Nahezu alle Läden in Singapur verkaufen, auch bei gängigen »westlichen« Marken und identischen Grössenangaben, Herrenhemden mit einem speziellen asiatischen Schnitt, heisst: deutlich zu kurzen Ärmeln. Verflixt.

Abschliessend noch ein, zwei praktische Dinge, die mir aufgefallen sind. Cool finde ich, dass es fast überall bildschöne japanische Urinale (»Pinkelbecken«) und Toiletten der Marke Toto [9] gibt; Zeit, dass deren Hersteller endlich nach Europa expandiert. Allerdings, die Frauen wird's zwar kaum stören, die Becken hängen gerne ziemlich tief. Offenbar sind nicht nur asiatische Arme kürzer. Sehr praktisch hingegen, dass sich für den Zugang zu Büros niemand mehr mit Schlüsseln quält. Beinahe überall habe ich Türen mit einem interessanten Magnetverschluss gesehen. Oben an der Türkante sitzt ein gigantischer Elektromagnet, der nach Eingabe einer PIN oder dem Vorweisen einer Zugangskarte kurzzeitig abgestellt wird, und schwupp, schon kann man die Türe öffnen. Hoffentlich hält da nie jemand seine Kreditkarte mit Magnetstreifen zu hoch, und ein Stromausfall wäre wohl auch so oder so ein Problem. Nicht so praktisch wie die Türen sind, mindestens für Kontinentaleuropäer, die englischen Masse. Meine Sauce zum anrühren mit Wasser wäre eventuell auch flüssig geworden (und nicht eine Art Gummiklotz), wenn mir früher aufgefallen wäre, dass das »1/4« auf dem Messbecher ein viertel Pint meint, nicht einen Viertelliter. Dagegen ist der Linksverkehr ja harmlos!

Aber alles das ist beinahe schon Vergangenheit für mich. Das Kapitel Singapur schliesst sich, in einer Stunde geht's los zum Flughafen.

[1]  http://www.youtube.com/watch?v=Y5EXGPa-Q3I
[2]  http://www.faz.net/s/RubD16E1F55D21144C4AE3F9DDF52B6E1D9/Doc~E86...
[3]  http://www.hotfrog.sg/Companies/Ideal-Plumbing
[4]  http://www.eguide.com.sg/company-72133-magnificentsevencorporati...
[5]  http://www.autobahn.com.sg/
[6]  http://www.actioncity.com.sg/main.htm
[7]  http://courseware.nus.edu.sg/e-daf/sbnn/la3202grproj/German%20Pr...
[8]  http://www.psbacademy.edu.sg/
[9]  http://www.toto.co.jp/en/