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Letters from Singapore (6): Ärztliche Versorgung
Dienstag, 2007-09-04

Dieses Thema kommt ein wenig ungeplant. Eigentlich hatte ich nicht vor, die Qualität der hiesigen ärtlichen Versorgung persönlich unter die Lupe zu nehmen, aber die Unfähigkeit bzw. der Unwille meines Allgemeinarzts in Zürich (den ich künftig ganz sicher nicht mehr aufsuchen werde), meiner seltamen Schmerzen im rechten Bein Herr zu werden, hat mich jetzt eben doch dazu gezwungen.

Die Arztsuche. – Die erste Hürde, die überwunden werden wollte, das war das Suchen und Finden eines Allgemeinarzts. Dazu muss man als erstes wissen, dass das »general practitioner« oder einfach »GP« heisst. Aber wenn man da in der Schule nicht aufgepasst (oder es nie beigebracht bekommen) hat, reicht ja ein Blick in's Wörterbuch. Im der Arbeitsstätte gegenüber gelegenen OUB Centre im obersten Stockwerk entdeckte ich etwas, das einer Arztpraxis ähnlich sah, wobei, eigentlich auch wieder nicht. Seltsam war's, sah eher wie ein Friseurgeschäft oder ein Schönheitssalon aus, und auf der Glaswand neben dem Eingang waren alle möglichen Dinge aufgelistet, die man dort auch haben kann (von A wie Aknebehandlung über S wie Schwangerschaftsberatung bis Z wie Zehnägelschleifen). Der Gemischtwarenladen war mir nicht geheuer. Eine Kollegin hatte zum Glück eine grosse GP-Liste von ihrer Versicherung, auf der ich mir eine andere, günstig gelegene Praxis mit einer sympathischen Website [1] aussuchte.

Der Arztbesuch. – Den ersten Besuch dort machte ich auf dem Nachhauseweg von der Arbeit. Die Idee: statt telefonisch blind einen Termin zu vereinbaren die Praxis besser persönlich zu begutachten. Unweit der MRT-Station »Orchard« findet sich der Liat Tower. Dort sollte die Praxis sein, im 18. Stock. Das Gebäude ist nicht das allerneueste, innen ist alles ein bisschen eng und stickig, der Lift in den 18. schien ewig lange zu brauchen. Durch eine Glastür, und dann geht es rechts (ich wäre fast daran vorbeimarschiert) in die »Newcastle Clinic«. Klinik ist gut. Die Arztpraxis hat insgesamt etwa die Grösse meines Wohnzimmers; vom Vorraum, in dem gerade genug Platz ist für die integrierte Apotheke (!), d.h. ein mit Medikamentenschachteln vollgestopftes Regal hinter der Empfangstheke, die Theke selbst, sowie ein paar Sitze an der Wand, gehen genau zwei Türen ab. Eine führt zu Dr. Koo Seng Long, eine war angeschrieben mit »Treatment Room«, führt aber, wie sich später zeigte, zu einem Kämmerchen, das als Lagerraum für diverse grosse Kartons dient. Alles ein bisschen düster und ranzig, aber bei allem Chaos auch sympathisch. Und auch hier wird für eine lange Liste von Dienstleistungen geworben, das muss wohl einfach so sein. – Noch ehe ich den diskreten Rückzug antreten konnte, hatte mich eine der beiden Helferinnen entdeckt, und so machte ich eben meinen Termin. Mit meinem für Asiaten schwierigen Namen gab's die übliche Verwirrung, meine Daten wurden säuberlich handschriftlich auf ein Karteiblatt übertragen, und das war's. Der Besuch am nächsten Tag, ich hatte vorher noch schnell diverse Vokabeln gelernt, damit ich meine Beschwerden ordentlich beschreiben konnte, verlief dann aber sehr positiv. Nach einer kurzen Wartezeit neben zum Teil etwas, äh, seltsamen anderen Patienten hatte ich ein gutes Gespräch mit dem sympathischen Doktor, der ausgesprochen kompetent wirkte und sich mein Bein sehr genau ansah, dann aber zur endgültigen Diagnose einen MRI-Scan [2] empfahl. Als Überweisung schrieb er mir ein kleines Briefchen, buchte sofort einen Termin für mich (noch am selben Tag) in einer auf solche Dinge spezialisierten Praxis unweit der seinen, und schliesslich durfte ich auch gleich noch bezahlen – für seine Beratung und den MRI-Scan, letzteren im voraus. Insgesamt lumpige S$850, seufz.

Eine Magnetresonanztomographie in einer Shopping-Mall? Aber sicher. Der Scan sollte stattfinden im Imaging Centre bei »Asia HealthPartners« [3]. Nur – diese (wie sich zeigte) sehr grosse, topmoderne, hochprofessionell organisierte Praxis findet sich da, wo man sie wirklich eher nicht vermutet – in der recht alten, schmuddeligen Mall »Lucky Plaza« an der Orchard Road, im fünften Stock. Auf allen Etagen darunter: billige Schuhe, Andenken, Geldwechselstuben, Imbisse … ich konnte es kaum glauben. Es hatte geheissen, ich solle um sechs Uhr abends kommen, war aber zu früh. Und siehe da, ich hatte eben die Mall betreten, da klingelte mein Handy: ob ich in der Nähe sei, sie wären mit den vorherigen Patienten früher fertig geworden … also ging's schon um halb sechs los. Und es wurde nicht lange gefackelt, eine freundliche junge Dame nahm mich in Empfang, stellte mir noch einige Fragen, legte mir das Karteiblatt mit meinen Daten zur Kontrolle vor und holte sich eine Unterschrift. Dann ruckzuck in den Umkleideraum, alles in's Schliessfach, einen riesigen grünen Anzug angezogen, noch einmal auf die Toilette, und schon wurde ich auf die fahrbahre Liege unter der bekannten »Röhre« geschnallt, das Bein fixiert und ich mit Gehörschutz und einer Klingel für Notfälle versehen. 20 Minuten sollte die Prozedur dauern, und ich war noch gewarnt worden vor dem Lärm. »No worries, I'm used to noise«, sagte ich, und dachte an meine CD-Sammlung. In der Tat war's akustisch hochinteressant, schade, dass ich das nicht aufnehmen konnte. Wieder umgezogen, und um kurz nach sechs war ich wieder draussen. Sehr flott. Und ähnlich flott ging's weiter. Die Bilder wurden am nächsten Morgen dem GP per Kurier zugestellt, gegen die Mittagszeit erreichte mich eine SMS (!) von Dr. Koo: »Hi Jan, MRI confirmed a tear in the medial meniscus. Please see me and discuss further management.« – Zum guten Glück, nichts Ernstes.

Der Rest der Geschichte. Beim nächsten Termin mit Dr. Koo holte ich vor allem die Bilder und eine Überweisung zum Spezialisten (Dr. Ngian Kite Seng von »Island Orthopaedic Consultants«) ab. Dr. Koo erklärte mir auch noch kurz, dass sonst mit meinem Knie alles in Ordnung sei, man Meniskusrisse aber in der Regel mit einem Eingriff behandeln müsse, und organisierte gleich den Termin mit Dr. Ngian. Dieses kurze Gespräch kostete mich noch einmal S$30. – Einige Tage darauf trat ich dann bei Dr. Ngian an, der sich ebenfalls mein Bein noch einmal besah, mir sehr detailliert die MRI-Bilder erklärte und die betroffene Stelle an einem Kniemodell zeigte (S$107). Rätselhaft blieb die Ursache der Verletzung, gemäss seiner Aussage sahen die Bilder nach einem Unfall aus, der aber eventuell schon eine Weile zurückliegt. Schlussendlich war der Fall aber klar, Arthroskopie mit je nach Sachlage Zusammennähen des Meniskus oder Entfernung eines Teils davon. Am kommenden Donnerstag, 6. September, liege ich im Gleneagles-Hospital [4], einer der besseren Adressen hier, unter dem Messer, sollte dann aber hoffentlich schon am Abend wieder nachhause können. Auf die Kosten bin ich gespannt. Updates folgen.

Ein vorläufiges Fazit. Die durchschnittliche Praxis mag etwas weniger hochglanzpoliert aussehen als die in Zürich (wobei man auch in Singapur Hochglanzpoliertes bekommen kann, für einen höheren Preis), aber medizinisch ist man hier auf dem neuesten Stand, gut ausgestattet und ausgezeichnet, sprich: sehr effizient organisiert. Vom ersten Arztgespräch bis zum MRI-Scan mit Diagnose per SMS weniger als 24 Stunden – toll. Es hätte mich schlechter erwischen können.

Update, 2007-09-07: Die zweistündige Operation gestern ist gut verlaufen. Für Heiterkeit im OP-Saal sorgte die Tatsache, dass ich mit meinen 1.89 beinahe zu lang war für den OP-Tisch. Im Verlauf des späteren Abend konnte ich dann das Krankenhaus verlassen, der Heimweg war aber mehr als abenteuerlich. Im Moment kann ich mein Knie überhaupt nicht beugen, was gehen und so ziemlich jede andere praktische Verrichtung sehr schwierig macht. Hoffentlich wird das bald besser … ah ja, und die Kosten: über S$10'000. Wahnsinn. Das macht ein Telefonat mit meiner Krankenversicherung notwendig.

Update, 2007-09-21: Ein eingerissener Meniskus ist ja nichts Gefährliches, aber Himmel, kann das lästig und langwierig sein. Es geht jetzt ohne Krücken, aber von normalem Laufen ist noch keine Rede, und das Knie braucht noch immer Schonung, dankt mir diese aber damit, dass ich jetzt Wasser im Bein und Knöchel habe. In der »24h Walk-In Clinic« des Gleneagles, die ich letzte Woche angesichts der Schwellungen beunruhigt aufgesucht habe, war ein Dr. Wong der Meinung, das sei schon nicht gefährlich und würde sich wieder zurückbilden. Wenn er da mal recht behält (S$145). Ausser der Leichenhalle habe ich jetzt wirklich alles gesehen. – Ah, und nach einigem Hickhack (acht Telefonate, fünf Faxe) hat sich meine Krankenversicherung doch noch dazu durchringen können, die rund 8'000 Franken (!) für die OP direkt zu begleichen. Uff.

[1]  http://www.newcastleclinic.com.sg/
[2]  http://de.wikipedia.org/wiki/Magnetresonanztomographie
[3]  http://www.asiahealthpartners.com/
[4]  http://www.gleneagles.com.sg/